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Auf die (Arbeits-)Plätze, fertig, los!

60.0000 Arbeitsplätze, mehr als 2000 Auszubildende und fast 2,5 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr: Die großen Berliner Landesbetriebe gelten als Motor der Stadt. Unter dem Motto »Jobs mit Perspektive« warben BVG, BSR & Co bei einem Aktionstag um Talente – ein Besuch auf dem Alexanderplatz. 

Von Max Gehry 

Jürgen Hesse dreht an der Uhr. Während der Regen gerade minutenlang auf den Alexanderplatz prasselt, steht er in einem wasserdichten Zelt und lässt einen kleinen Funkwecker in seinen Händen kreisen. Aufgeregt? – »Na ja, vor so solchen Auftritten bin ich wahrscheinlich genau so angespannt wie jemand vor einem Bewerbungsgespräch«, sagt der Diplompsychologe, und rotiert den silbernen Wecker weiter mit den Fingern. Hesse, Jahrgang 1951, gilt als Bewerbungspapst und ist einer der führenden Karrierecoaches und Ratgeberautoren in Deutschland. Auf der Bühne neben dem Zelt soll er gleich 15 Minuten lang erklären, wie das geht: erfolgreiches Bewerben. Der Wecker wird dann in seiner Sichtweite stehen. »Ohne meine Uhr im Blick«, sagt er, »würde ich womöglich aus Versehen eine ganze Stunde über das Thema reden.« 

Es ist der erste Julisamstag, den sich die Berliner Landesbetriebe und ihre gemeinsame Initiative »mehrwert Berlin« für ihren Aktionstag auf dem Alexanderplatz ausgesucht haben – darunter die Stadtreinigung (BSR), die Verkehrsbetriebe (BVG), die Wasserbetriebe (BWB) und die sieben Wohnungsbaugesellschaften. 

Dabei geht es an diesem Tag nicht nur um Jobs. »Unter dem Dach der Initiative wollen sich die öffentlichen Unternehmen als Arbeitgeber präsentieren, aber auch zeigen, was sie für ihre Stadt leisten«, sagt Kathrin Bierwirth von der Geschäftsstelle »mehrwert Berlin«. 17 Unternehmen, 17 Stände und eine Bühne, auf der Moderator Jörg Thadeusz durch den Tag führt, sie aber ab und zu anderen überlässt; Experten wie dem Bewerbungsprofi Jürgen Hesse zum Beispiel oder Unterhaltern wie dem Comedy-Künstler Murat Topal. Das Motto der Job- und Ausbildungsmesse: »Jobs mit Perspektive – Wir haben sie«. 

Die Perspektiven sind gar nicht schlecht, denn die Hauptstadt wächst schneller, als Bevölkerungsexperten rechnen können. Während heute gut dreieinhalb Millionen Menschen zwischen Pankow und Schöneberg leben, gehen Schätzungen davon aus, dass es in 15 Jahren 400.000 mehr sein werden – das entspricht der Einwohnerzahl von Bochum. Damit eine Stadt funktioniert, die so wächst, muss sie sich verändern. Daran arbeiten 60.000 Menschen in den landeseigenen Unternehmen jeden Tag mit. Indem sie zum Beispiel dafür sorgen, dass die U-Bahnen, Busse, Straßenbahnen und Fähren der Stadt pro Tag eine Strecke fahren, die 21 Mal so lang ist wie der Weg vom Nordpol zum Südpol. Dass im fast 20.000 Kilometer langen Kanalnetz alles läuft. Dass die Hunderttausenden Mülltonnen der Stadt geleert werden. Oder Berlin die einzige Stadt Europas bleibt, die mehr Museen (180) hat als Regentage (106,3) pro Jahr. Sie alle sind Motor der wachsenden Metropole; ein Motor, der künftig noch mehr leisten wird. 

Viele der öffentlichen Unternehmen stellen deshalb ein, allein die BVG benötigt bis 2020 mehr als 2000 neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Weil der steigende Bedarf an gut ausgebildetem Personal am liebsten mit eigenen Leuten gedeckt werden soll, haben alle Landesbetriebe Azubis – manche nur ein paar, manche viele: So hat Wista, der Betreiber des Wissenschafts- und Technologieparks in Adlershof, eine Hand voll Lehrlinge, die Investitionsbank (IBB) gut 30. Bei der Energieagentur (BEA) oder der Immobiliengesellschaft Berlinovo sind es etwa zehn, bei der Tourismus- und Kongressgesellschaft (visitBerlin) zwei Mal und bei den Flughäfen (FBB) wiederum 20 Mal so viele Azubis. Der Gesundheitsdienstleister Vivantes kommt sogar auf mehr als 800 Auszubildende. 

Auf der Suche nach einer Lehrstelle ist auch der 18-jährige Festim auf den Alexanderplatz gekommen. Der Zehntklässler will nach der Schule eine Ausbildung anfangen. »Ich überlege, Bus- oder U-Bahnfahrer zu werden«, sagt er – und lässt sich am BVG-Stand erklären, wann, wo genau und wie man sich für die Berufe bewerben kann. Er fragt nach den Übernahmechancen und den Einstiegsgehältern nach einer abgeschlossenen Ausbildung. Eine Ausbildung? Die scheint in Deutschland gesellschaftlich aus der Mode gekommen zu sein. Ohne Abitur kommst du nicht weit – das ist nahezu Konsens unter Eltern. Und danach am besten an die Uni. So sind es inzwischen fast 60 Prozent eines Jahrgangs, die ein Studium anfangen; vor 20 Jahren war es noch fast die Hälfte. Die Folge: Der Pool potenzieller Auszubildenden ist kleiner und kleiner geworden. Viele Unternehmen haben Probleme, geeignete Bewerber und Bewerberinnen zu finden. 

Die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) hat ausgerechnet, dass in der Hauptstadt im vergangenen Jahr vier von zehn Lehrstellen unbesetzt blieben. Für das in diesem Spätsommer beginnende Ausbildungsjahr gibt es mehr als 1000 unbesetzte Ausbildungsplätze. Was für den Ausbildungsmarkt gilt, macht sich im Umkehrschluss auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. So gibt es immer mehr Berufe, in denen seit längerem Fachkräfte fehlen und die gemeldeten Arbeitslosen nicht mehr ausreichen, um alle offenen Stellen zu besetzen. Die Situation ist vertrackt. Auf der einen Seite Schulabgänger, die keinen Ausbildungsplatz finden. Auf der anderen Betriebe, die keine Lehrlinge finden. Tatsächlich klafft auf beiden Seiten eine Lücke, weil Angebot und Nachfrage häufig nicht zusammenpassen. Mit dem Aktionstag der Initiative »mehrwert Berlin« versuchen die großen öffentlichen Unternehmen der Stadt, das zu ändern. Denn es liegt auch an den Firmen selbst, wie attraktiv sie ihre Ausbildungsangebote für Schulabgänger gestalten. 

Die meisten wollen nicht nur die Schlauen, sondern die, die passen. »Wir brauchen keine Fachidioten, sondern Alleskönner«, sagt Andreas Scholz-Fleischmann, Vorstandschef bei den Berliner Bäder-Betrieben. Auch Jan Kowalewski, Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft WBM meint: »Wer sich bei uns für einen Job bewirbt, muss über Probleme nicht nur reden können, sondern sie lösen.« 

Nicht immer sind es deshalb nur die Zeugnisse, die entscheidend sind. »Das Wichtigste, sagt Martina Heger von der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, sei die Motivation. »Wenn sich jemand bei uns beworben hat, merken wir im persönlichen Gespräch schnell, ob der Bewerber oder die Bewerberin das auch wirklich ist. Auf eine Frage sollte sich jeder vorbereiten: »Wo sehen Sie Ihre berufliche Zukunft?« 

Selbstverständlich sollten sich Kandidaten vorher Gedanken darüber machen, wo sie sich bewerben und warum. »Wer einen Ausbildungsplatz will, sollte sich mit dem Beruf ernsthaft auseinandergesetzt haben«, sagt Manuela Prillwitz. Deshalb will die Personalchefin von Berlinovo von den Bewerbern und Bewerberinnen meistens wissen, was sie glauben, welche Herausforderungen sie dort erwarten werden. Und warum sie denken, diese erfüllen zu können. So sieht das auch Dirk Schulte, Vorstand der Berliner Verkehrsbetriebe: »Wer bei uns anfangen will, sollte die BVG nicht mit der S-Bahn verwechseln.« Eine Ego-Show ist von den Bewerbern und Bewerberinnen selten gefragt. »Wer sich als Einzelkämpfer aufspielt, hat bei uns keine Chance«, stellt Wista-Geschäftsführer Roland Sillmann klar. Gesobau- Vorstand Christian Wilkens sieht das genauso: »Wer bei uns arbeiten will, muss ein Teamspieler sein.« Wie aber zeigt man das? »Gehen Sie selbstbewusst ins Vorstellungsgespräch. Spielen Sie aber keine Rolle«, rät der Vorstandsvorsitzende der Investitionsbank Berlin, Jürgen Allerkamp. »Und erwecken Sie vor allem nicht den Eindruck, bereits alles zu wissen.« 

Während der Zehntklässler Festim sich am BVG-Stand ein Stückchen näher an eine Lehrstelle heranfragt, ist Pia gerade auf dem Weg zur Tourismus- und Kongressgesellschaft, die unter der Marke visitBerlin agiert. Die 23-Jährige hat gerade ihr Studium abgeschlossen und sich mit einem Bachelor als Tourismusmanagerin in der Tasche für das sogenannte Berlin Convention Office beworben. »Von dort aus wird die Hauptstadt weltweit als Metropole für Messen, Tagungen und Kongresse vermarktet«, sagt sie. »Deutschlandweit ist Berlin als Austragungsort für solche Veranstaltungen die Nummer 1, international unter den Top Five. Daran mitzuarbeiten, diese Positionen zu halten oder sogar weiter auszubauen, das reizt mich.« Nun hofft die Wilmersdorferin am Stand einen der Personaler zu treffen. Sie will fragen, ob es bei der Auswahl der Bewerber und Bewerberinnen schon eine Entscheidung gibt. 

Eine Bewerbung könnte so einfach sein. Man schreibt auf ein paar Blatt Papier, was man kann und wer man ist. Doch genauso läuft es oft nicht. Aber wie dann? Die optimale Bewerbung vermittelt laut Michael Geißler Kompetenz, Motivation und Persönlichkeit. Diese drei Motive müssen für den Geschäftsführer der Berliner Energieagentur sichtbar werden. Eine Bewerbung ist Werbung in eigener Sache. »Am liebsten ist es mir, wenn ich bei Bewerbern und Bewerberinnen gleich merke, dass sie vor allem eines können: Mitdenken.« 

Überhaupt ist Authentizität wichtig. »Bei der Auswahl von Bewerbern und Bewerberinnen achten wir sehr auf Vielfalt«, sagt Sophia Eltrop, Geschäftsführerin der Howoge. »Deshalb sollte sich niemand verstellen«, so Ingo Malter von der Stadt und Land, indem er beispielsweise auf extrovertiert mache, obwohl er eine zurückhaltende Persönlichkeit habe. Genauso verhalte es sich mit Kandidaten und Kandidatinnen, die von Teamarbeit schwärmen, aber in Wahrheit Einzelkämpfer sind. »Nur wenn jemand authentisch ist, ist er auch überzeugend.« Das fängt damit an, dass Bewerber und Bewerberinnen wissen, was in ihrem Lebenslauf steht. »Nur dann können sie auch unsere Fragen dazu beantworten«, so BSR-Vorstand Martin Urban. Passende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden ist auch Aufgabe von Personalvorständin Kerstin Oster und ihrem Team bei den Berliner Wasserbetrieben – es ist keine leichte. »Wer zu uns zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird, sollte gut vorbereitet sein. Denn nur dann kommt ein wirkliches Gespräch zustande.« Wie Kerstin Oster hält auch Constanze Schweinsteiger nichts von Listen wie »Die zehn größten Fehler im Bewerbungsgespräch«. Aber ein paar Grundregeln, die gebe es schon. » Was bei einem Bewerbungsgespräch überhaupt nicht geht? Zu spät kommen zum Beispiel«, sagt die Personalchefin der Flughäfen. 

Caroline steht nicht kurz vor dem Abschluss. Den hat sie schon vor vielen Jahren abgelegt. Die Enddreißigerin arbeitet als Lehrerin. Sie unterrichtet Biologie. »Jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich mich entschieden habe, etwas Neues zu machen«, sagt sie – und will sich deshalb bei Vivantes bewerben. Am Stand des Krankenhauskonzerns möchte sie fragen, welche Möglichkeiten es für sie als Quereinsteigerin gibt. Am Ende des Gesprächs mit der Rekrutierungschefin, Claudia Reich-Braun, hat Caroline zwei Vorschläge bekommen, was sie bei Vivantes arbeiten könnte, eine Visitenkarte und die Aufforderung, sich in einem Monat nochmal zu melden. Lehrlinge zu finden ist das eine, ausgebildete Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen das andere. Bewerbungsprofi Jürgen Hesse weiß, wie lang und nervenaufreibend die Suche nach dem passenden Job oft ist – und wie wichtig deshalb Jobbörsen sein können, weil Interessenten dort mehr über Unternehmen herausfinden und vor allem Kontakte knüpfen können. »Die Welt hat nicht auf mich gewartet«, sagt Hesse. »Nach meinem Studium war ich erst mal arbeitslos – fast ein Jahr.« Hesse tat sich schwer, schrieb etliche Bewerbungen, wurde aber kaum eingeladen. Irgendwann bewarb er sich als Geschäftsführer bei der Berliner Telefonseelsorge. »Das hat dann geklappt.« In diesem Sinne sollte man immer dran bleiben, seinen Weg gehen und sich niemals entmutigen lassen.